„Umkehr zu Gerechtigkeit und Menschenwürde“ - Synodenbericht des Kirchenpräsidenten
Dessau-Roßlau, am – In seinem Bericht bei der Frühjahrssynode der Evangelischen Landeskirche Anhalts hat Kirchenpräsident Helge Klassohn Politiker in Deutschland aufgefordert, auch auf die Stimmen derjenigen Menschen zu hören, deren Existenznöte und Anliegen „im allgemeinen Mediengetöse nur zu schnell überhört werden“. Klassohn forderte ein garantiertes Grundeinkommen für Arbeitende, das nicht niedriger sein dürfe als entsprechende Leistungen für Arbeitslose. Hier müsse es in Politik und Wirtschaft Umkehr und Einsicht geben, weil es um Respekt vor den Werten Gerechtigkeit und Menschenwürde gehe, „die zu den Grundlagen unserer Verfassung und unseres Gemeinwesens gehören“.
Weiter ging der Kirchenpräsident unter anderem auf die niedrige Wahlbeteiligung am 22. April bei den Kommunalwahlen in Sachsen-Anhalt ein, auf das Verhältnis der anhaltischen Landeskirche zu der Föderation Evangelischer Kirchen in Mitteldeutschland sowie auf die finanzielle Situation der Landeskirche. Mit Blick auf die soziale Situation im Land konstatierte Klassohn eine sich weiter öffnende Schere zwischen Arm und Reich. „Die Erwartungen, dass wirtschaftliches Wachstum sich ‚automatisch’ positiv auf die Verbesserung der sozialen Situation auswirken und zu einer Sicherung, wenn nicht gar Steigerung des allgemeinen Wohlstands führen würden, haben sich nicht erfüllt.“ Eine am Gemeinwohl orientierte Politik dürfe sich nicht den Prioritäten der kapitalistischen Ökonomie unterwerfen. „Politisch Verantwortliche, die sich einen eigenen Überblick verschaffen und sich von als solchen erkannten Irrtümern abwenden, genießen in besonderer Weise das Vertrauen der Menschen.“ Der Kirchenpräsident würdigte Unternehmer, die betriebswirtschaftliche Verantwortung und mitmenschliche Solidarität, Entscheidungsfreiheit und Verantwortung für die berufliche Existenz ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beieinander zu halten versuchten. Viele solcher Unternehmerinnen und Unternehmer gebe es im Bereich des Handwerks und des Mittelstandes. „Die mittelständische Wirtschaftsform ist ebenso wie die Landwirtschaft als ganzheitliches Wirtschaften in überschaubaren Räumen geeignet, Wettbewerb und soziale Sicherung, wirtschaftlichen Erfolg und Teilhabe an Wohlstand, Freiheit und Solidarität in überzeugender Weise miteinander zu verbinden.“ Aufgabe und Verantwortung der Kirche in dieser Situation sei es, den Menschen das Evangelium gerade in seiner zur Umkehr befreienden Kraft zu verkündigen. „Die Christen haben ihre Mitmenschen immer dann besonders überzeugt, wenn sie überzeugend in der von Gott gegebenen Freiheit, ohne Zukunftsangst und Menschenfurcht danach lebten.“ Auch in der Kirche selbst dürften ökonomische Faktoren und vermeintliche Sachzwänge nicht im Vordergrund stehen, betonte der Kirchenpräsident. „Gerade die Kirche lebt nicht ‚vom Geld’, sondern aus der Gegenwart des Reiches Gottes. Die Orientierung am biblischen, von der Reformation aufgegriffenen Urimpuls zur Umkehr will die Kirche aus weltlichen gottfernen Bindungen befreien. Für unsere Landeskirche bedeutet dies die Umkehr zu Gott, die Umkehr zu Jesus Christus als Mitte, die Umkehr zu seinem Wort und zur Bibel, die Umkehr zu den Menschen an ihren Lebensorten.“ -------------------------------------- Wahlbeteiligung Kommunalwahlen Als beunruhigend stufte Kirchenpräsident Klassohn die niedrige Wahlbeteiligung bei den jüngsten Kommunalwahlen in Sachsen-Anhalt ein. Trotz aller Aufrufe – auch von ihm selbst – hätten viel zu viele Bürgerinnen und Bürger wohl den Eindruck, dass es auf ihre Wahlentscheidung und auf ihre demokratische Grundüberzeugung nicht mehr ankomme. Ein Grund für die Wahlenthaltungen könne wohl auch in der Unzufriedenheit mit dem Verfahren und dem Ergebnis der Kreisgebietsreform, speziell in der Region Anhalt, gesehen werden. „Von den Bürgern eines demokratischen Staatswesens muss aber erwartet werden, dass sie sich für die gemeinsamen Angelegenheiten interessieren, also bereit sind, sich zu informieren und zu engagieren, zumal im eigenen Ort und in der eigenen Region, statt den ‚Staat’ oder die ‚Gesellschaft’ bloß als fremde Mächte zu sehen.“ Das Wahlrecht sei das wichtigste und oft unterschätzte Recht der Bürgerinnen und Bürger. „Wer sagt: ‚Es ändert sich ja doch nichts’, übersieht leichtfertig, in welch hohem Maße die Gewählten von ihren Wählern abhängig sind, denn sie brauchen ihre Zustimmung.“ Die Wählerinnen und Wähler könnten aber auch von den Gewählten erwarten, dass diese sich am Gemeinwohl orientierten und nicht nur am eigenen Interesse, wieder nominiert und gewählt zu werden. -------------------------------------- Verhältnis zur Föderation Evangelischer Kirchen in Mitteldeutschland Mit Blick auf die jüngsten Synodaltagungen der Kirchenprovinz Sachsen und der Thüringischen Landeskirche in Wittenberg, bei denen die für die Fusion zu einer Vereinigten Kirche notwendige Zweidrittelmehrheit in der KPS-Teilsynode nicht erreicht wurde, während in der Thüringischen Teilsynode diese Mehrheit mit einer Stimme überboten wurde, sagte der Kirchenpräsident: „Bei dem gebotenen Respekt vor Synodalentscheidungen steht es mir nicht zu, diesen Vorgang zu kommentieren oder gar zu bewerten. Wir wollen auch in Zukunft gute und verlässliche Nachbarn und Kooperationspartner auf den rund 20 Feldern unserer Zusammenarbeit sein, dies ist eine vordringliche Aufgabe.“ Der seit dem 20.12.2000 bestehende Kooperationsvertrag zwischen der anhaltischen Landeskirche und der Kirchenprovinz Sachsen bilde hierbei eine gute Grundlage. „Unsere Partner in der KPS und Thüringen waren in den letzten Jahren und Monaten durch ihren Fusionsprozess in hohem Maße beansprucht“, sagte Klassohn. „Nach meinem ersten Eindruck haben Probleme die Synodalen beschäftigt, die wohl auch die anhaltische Landessynode in ihrer Tagung am 15./16.11.2002 bewogen hatte, sich gegen den Beitritt unserer Landeskirche zum Kooperationsvertrag zwischen Thüringen und der KPS mit dem Ziel der Föderation und Fusion zu entscheiden.“ Diese Probleme seien die Zukunft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Finanzfrage, die Frage der Zentralisierung im Verhältnis zur Präsenz vor Ort (im Blick auf eine vor Ort erfahrbare Kirche) sowie der hohe Termin- und Zeitdruck, „der den Betroffenen an der Basis kaum Raum zur Beteiligung an den Entscheidungen und zur Meinungsbildung zu lassen schien“. Er habe in der zurückliegenden öffentlichen Debatte über die Zukunft der anhaltischen Landeskirche eine ungute Engführung darin gesehen, dass der anhaltische Beitrag zum Reformprozess der evangelischen Kirche „Kirche der Freiheit“ oft auf die Frage der „Fusionswilligkeit“ reduziert worden sei. „Ich bin der Ansicht, dass die entscheidende Frage im Zusammenhang mit der Zukunft unserer Landeskirche die nach der Stärkung unserer Gemeinden in ihrem Zeugnis und Dienst nahe bei den Menschen ist. Wir werden den Weg von der Betreuungskirchenstruktur hin zur Beteiligungsstruktur weitergehen und weiter die schwierige Aufgabe zu lösen versuchen, mit weniger Mitteln als bisher eine attraktivere Arbeit und ausstrahlungskräftigere Kirche nahe bei den Menschen und mit den Menschen zu gestalten.“ Schnelle Entscheidungen hingegen seien möglicherweise nicht immer der beste Weg, um Landeskirchen „mit ihren höchst unterschiedlichen Kulturen, mit vielen ungeschriebenen Regeln für das Miteinander von Leitung und Basis zu einem Zusammenleben oder gar zu einem Anschluss zu bringen“. Hierfür seien auch die bleibende Wertschätzung für die bisherigen Identitäten und Stärken der Partner, die umfassende Beteiligung der Betroffenen an der Basis sowie Geduld im Prozess der wachsenden Übereinstimmung nötig. -------------------------------------- Finanzsituation und innere Situation der Landeskirche Anhalts Vor den Synodalen berichtete Kirchenpräsident Klassohn über die Auswertung eines Berichtes für das Haushaltsjahr 2005 durch den Finanzbeirat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Darin werde die anhaltische Landeskirche als „östliche Gliedkirche mit typischen Strukturproblemen“, aber mit so weit „vorangeschrittenem Konsolidierungsprozess“ eingestuft, dass „keine Maßnahmen“ im Rahmen des Solidarpaktes der EKD erforderlich seien. „Wir können hierin ein positives Ergebnis unserer Spar- und Konsolidierungsmaßnahmen in den Jahren 2002–2004 sehen, welche schon mit Abschluss des Jahres 2005 erste positive Auswirkungen gezeigt haben. Dieser Trend wird sich voraussichtlich auch im Jahre 2006 fortsetzen. Wir müssen ihn ‚verstetigen’.“ Dennoch, so Klassohn, sei in der Landeskirche die Enttäuschung über die Sparmaßnahmen und Stellenreduzierungen der vergangenen Jahre mancherorts noch gegenwärtig. Deshalb habe die Kirchenleitung beschlossen, vom 21.–31. Oktober 2007 eine landeskirchliche Visitation durchzuführen, bei der die Neubeschreibung der Pfarrstellen und die eingeschränkten Dienstverhältnisse im Mittelpunkt stehen sollten. Dessau, 27. April 2007 Synodenbericht Kirchenpräsident Klassohn (PDF, 342 KB))