"Nehmt einander an"
Dessau-Roßlau, am – Der Mensch hat es weit gebracht. Von den Höhlenbewohnern, die sich um ein Feuer scharen, sind wir zu Eroberern des Weltraums geworden und finden auf der Erde kaum noch weiße Flecken. Nur in einer Sache sind wir trotz aller Erkenntnisse von Philosophie und Psychologie nicht wesentlich vorangekommen: Wer bin ich?
„Manchmal gleichen wir jenen chinesischen Artisten, die Porzellanteller auf dünnen Stäben rotieren lassen. Solange sich alle Teller drehen und unser Leben irgendwie beherrschbar scheint, ist alles gut. Eine Kleinigkeit aber vermag alles durcheinander zu bringen. Wie reagieren wir dann? Wer sind wir wirklich? Noch schwieriger ist es, zu anderen in Kontakt zu treten. In Liebe erreichen wir dabei den Gipfelpunkt menschlicher Existenz. In grausamster Brutalität erzählen die Kriege auch unserer Tage von den Abgründen in uns.
Die Jahreslosung für 2015 tritt uns mit einer unglaublichen Behauptung entgegen: In Christus nimmt uns Gott an – genauso brüchig und kompliziert, wie wir sind. Alle Fragen nach unserem Wesen überbietet Gott mit einer einzigen Aussage: Ich nehme dich so, wie du bist! Eltern sollten so mit ihren Kindern reden, Liebende so zueinander sprechen.
Wer so geliebt wird, macht eine lebensverändernde Erfahrung. Was bisher als unlösbares Rätsel um uns selbst und unsere Mitmenschen erschien, löst sich auf in ein Gefühl existenzieller Geborgenheit. Nur diese existenzielle Geborgenheit macht es uns möglich, andere anzunehmen. So einfach und so unendlich kompliziert ist der Sachverhalt.
Das Motto des Jahres 2015 kommt daher nicht als ein Befehl daher. Vielmehr schreibt Paulus an die Gemeinde in Rom eine Erinnerung über die wahren Grundlagen der Existenz. Daraus ergibt sich eine zwangsläufige Folgerung: Wer sich als Christenmensch von Gott zutiefst geliebt weiß, bringt seine eigene Geborgenheit in der Liebe zu anderen zum Ausdruck. Das ist das Lob, das Gott gefällt. In einer Welt, die in vielen Teilen so friedlos ist wie seit alten Zeiten, scheint diese Botschaft naiv und ist doch so notwendig. Die Gewissheit von Gottes Liebe zu uns gibt der Hoffnung stets neue Nahrung, dem Bösen nicht unterlegen zu sein.
Alle Fragen an uns selbst und an andere finden ihre Antwort in dem Satz, den Gott uns sagt: Ich liebe dich! Der kurze Satz aus dem Römerbrief ist darum ein gutes Motto für das Jahr 2015.
Joachim Liebig, Kirchenpräsident
Ballenstedt, Bernburg, Dessau, Köthen, Zerbst – Glaube