Nachdenken über „Nathans Kinder“
Dessau-Roßlau, am – Die Dessauer Theaterpredigten nehmen am Sonntag, 14. Mai, um 14.30 Uhr in der Kirche St. Johannis erstmals Bezug auf ein Jugendtheaterstück. Besonders herzlich eingeladen sind deshalb auch Jugendliche. Der Theologe und Kulturpädagoge Prof. Dr. Hans-Rüdiger Schwab aus Münster wird unter dem Titel „Nur du, wieder du, immer du!“ über das Jugendtheaterstück „Nathans Kinder“ von Ulrich Hub predigen. Premiere war im März am Anhaltischen Theater Dessau.
Regie führt Jana Vetten. Schwab ist zugleich künstlerischer Leiter des spektakulären Zerbster Prozessionsspieles, das vom 8. bis 10. September in Zerbst nach mittelalterlichen Vorlagen aufgeführt wird. Passend zum Jugendstück „Nathans Kinder“ ist für die musikalische Ausgestaltung diesmal das Vokalensemble der Musikschule „Kurt Weill“ Dessau-Roßlau zuständig. Die Leitung hat Ulrike Mahlo. Die Liturgie des besonderen Gottesdienstes übernimmt Pfarrerin Geertje Perlberg.
„Nathans Kinder“ erzählt Lessings Dramatisches Gedicht „Nathan der Weise“ für Jugendliche neu und fragt nach dem Verhältnis der drei großen monotheistischen Religionen. Hauptakteure sind die vom Juden Nathan adoptierte Recha und der christliche Tempelherr Kurt, die ihre Liebe zueinander entdecken. Sie geraten ins Kreuzfeuer der Auseinandersetzungen zwischen Nathan, einem Bischof und einem Sultan. Im Mittelpunkt des Stückes steht die berühmte „Ringparabel“. Vorbild für Lessings Nathan war übrigens des jüdische Philosoph und gebürtige Dessauer Moses Mendelssohn. In Anlehnung an eines seiner Worte wird vom 25. bis 28. Mai in Dessau-Roßlau der große „Kirchentag auf dem Weg“ unter dem Motto „Forschen. Lieben. Wollen. Tun.“ gefeiert. Auch „Nathans Kinder“ wird dabei aufgeführt (27.5., 17.00 Uhr, Altes Theater).
Sein Studium der Germanistik und der katholischen Theologie sowie seine Karriere als akademischer Lehrer führten Hans-Rüdiger Schwab (Jahrgang 1955) nach Würzburg, München, Zürich und Münster. Er war Dramaturg am Schauspielhaus in Zürich, Leiter der Redaktion »Kunst und Kultur« beim Bayerischen Fernsehen in München und ist seit 1996 Professor für Kulturpädagogik an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen, Abteilung Münster. Er hat zahlreiche Bücher und Aufsätze zur Literatur und Philosophie veröffentlicht.
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Besprechung von Johannes Killyen
„Nur Du, wieder Du, immer Du“ – 26 Mal spricht der in Liebe entbrannte Kreuzritter Kurt seine angebetete Recha an. In einem Liebesbrief, den es im Originaltext von Ulrichs Hubs Jugendstück „Nathans Kinder“ gar nicht gibt. Die Dessauer Inszenierung von Jana Vetten, noch etliche Male auf der Bühne des Alten Theaters zu sehen, rückt in Anlehnung an Lessing die Liebe zweier junger Menschen in den Mittelpunkt, die vom unversöhnlichen Streit der Religionen bedroht ist.
Hier anzuknüpfen war für die Dessauer Theaterpredigten, die sich dem Dialog zwischen Religion und Kunst widmen, sozusagen Pflicht. Die 19. Theaterpredigt hielt am Sonntag in der Kirche St. Johannis mit dem Münsteraner Theologen und Kulturpädagogen Hans-Rüdiger Schwab ein wortgewaltiger Mann, der klare Worte nicht scheut. Die Liturgie übernahm Ortspfarrerin Geertje Perlberg. Sowohl der Inszenierung als auch dem Grundansatz von Hub und Lessing hatte Schwab Fragen zu stellen: Würde die Abschaffung der Religionen, die Kreuzritter Kurt am Ende mit heißer Stirn fordert, tatsächlich zum Frieden führen? Ist Toleranz dann erreicht, wenn alle ihre religiöse Überzeugung zurückstellen und übereinkommen, dass es egal ist, ob man Muslim, Christ oder Jude ist?
Schwab, der zugleich künstlerischer Leiter des Aufsehen erregenden Zerbster Prozessionsspieles ist (Aufführungen im September), vertritt eine andere Ansicht: Erst im überzeugten Bekenntnis für die eigene könne man andere Religionen mit ihren Eigenheiten angemessen wertschätzen. Und attestiert dem gerade in Ostdeutschland verbreiteten Atheismus eine geringe Bereitschaft zur Toleranz gegenüber glaubenden Menschen.
Die geistreichen Ausführungen zum Jugendstück wurden von jungen Stimmen des Vokalensembles der Musikschule „Kurt Weill“ Dessau-Roßlau (Leitung: Ulrike Mahlo) in herrlich frische Töne gebettet – in Lieder, die nicht zuletzt von Liebe erzählten. „Somewhere – irgendwo ist ein Platz für uns“, sang Johanna Jekal mit Leonard Bernstein. Vielleicht auch für Kurt und Recha, die in ihrer Zuneigung zueinander die göttliche Liebe aufscheinen lassen. Nach jüdischem Verständnis symbolisiert die Zahl 26 übrigens Gott.
Dessau – Gesellschaft