"Kraft in den Schwachen mächtig"
Dessau-Roßlau, am – Betrachtung von Kirchenpräsident Joachim Liebig zur Jahreslosung 2012 „Jesus Christus spricht: Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ (2. Korinther 12,9), erschienen in der Mitteldeutschen Kirchenzeitung „Glaube und Heimat“: Die Regeln sind klar: Wer die Macht hat, setzt sich durch! Groß ist besser als klein! Gesund ist besser als krank! Reich ist besser als arm! Wer will dem widersprechen?
Gott widerspricht dem! Gottes Regeln sind vollständig anders. In der Jahreslosung 2012 werden sie in der kürzest möglichen Form zusammengefasst: Gott ist in den Schwachen mächtig. Es ist ein Zitat des 2. Korintherbriefes. Die konfliktreiche Situation der Gemeinde in Korinth veranlasst Paulus, zwei Briefe zu schreiben. Gegen Ende des zweiten Briefes verweist er noch einmal auf seine eigene Situation. Er leidet unter einer chronischen Krankheit. Er nennt sie einen „Pfahl im Fleisch“.
Die scheinbar immer wiederkehrende Schwäche veranlasst Paulus zu einer interessanten Deutung. Die tiefe Erkenntnis der Barmherzigkeit Gottes einerseits korrespondiert für ihn mit dem Leiden andererseits. Auf diese Weise, so Paulus, lässt sich sein missionarischer Erfolg gewiss nicht auf ihn selbst, sondern allein auf Gott zurückführen. Gott ist in den Schwachen mächtig.
Die Jahreslosung eröffnet verschiedene Ebenen. An der Oberfläche liegt das Offenkundige. Die Regeln Gottes unterscheiden sich fundamental von den Regeln dieser Welt! Andersherum gewendet: Wer die Regeln dieser Welt für Gottes Regeln erklärt, irrt in jedem Fall. Die darunter liegende Ebene findet sich vor allem in der Seelsorge. Bei schwerem Leiden und tiefer Not rufen Menschen scheinbar zu Gott, warum er sie so strafe.
Dahinter steht der alte Gedanke der Prophetie: Wenn Israel in die Irre geht, straft Gott. In Jahrzehnten der eigenen Seelsorge sind mir jedoch nur selten Menschen begegnet, die tatsächlich mit Gott hadern. Vielmehr ist es häufiger die selbstverliebte Frage: Ich habe doch alles richtig gemacht, warum geht es mir dennoch schlecht? Wäre es tatsächlich ein Hadern mit Gott, wäre die paulinische Deutung häufiger anzutreffen. In der Schwäche zeigt sich Gottes Kraft in besonderer Weise.
Das Kokettieren mit der eigenen Schwäche beschreibt eine dritte Ebene der Jahreslosung. Die Kirche in der Diaspora, kleine Gemeinden, Anfechtungen jeder Art – wir wollen als Kirche lieber im Windschatten der Gesellschaft bleiben und still unseren Dienst tun, so mag diese Ebene abgekürzt beschrieben werden. Die Schwäche wird dann zu einer Ausrede für mangelndes Selbstbewusstsein oder dem tiefen Wunsch, Vertrautes nicht verlassen zu wollen. Gott wird damit zu einem Bewahrer des Bestehenden, Kleinen und Unscheinbaren. Die Macht Gottes im Schwachen wird damit geleugnet. Doch aus der kleinsten Stadt Israels erwächst der Mensch gewordene Herr aller Universen.
Die kleingläubige Selbstbeschränkung ist nicht Thema der Jahreslosung 2012. Nicht auf eigene Stärke zu vertrauen, sondern alles auf Gott zu setzen; nicht sich selbst, sondern immer nur Gott zu loben; Gott alles zuzutrauen – dazu leitet uns das Motto des Jahres 2012 an. Damit können wir trotz aller Krisen in gelassenem Selbstbewusstsein und freudiger Erwartung das neue Jahr beginnen.
Ballenstedt, Bernburg, Dessau, Köthen, Zerbst – Landeskirche