Evangelische Landeskirche Anhalts

Kirchenpräsident bei Synode: Christen müssen Räume zur Veränderung aufzeigen

Dessau-Roßlau, am – Die Herbstsynode der Evangelischen Landeskirche Anhalts hat am Freitag mit dem Bericht des Kirchenpräsidenten, des Landeskirchenrats und des Diakonischen Werkes begonnen. Kirchenpräsident Helge Klassohn betonte vor den Synodalen, die evangelische Kirche habe gegenüber oft zitierten Sachzwängen und ökonomischen Unausweichlichkeiten politischer Möglichkeiten eine aktuelle, christlich bekennende Position einzubringen. „Aus ihrem Glauben heraus müssen Christen Räume zur Veränderung aufzuzeigen“, betonte Klassohn.

Er forderte die evangelische Kirche auf, die wachsende Armut und Arbeitslosigkeit in Deutschland noch stärker in den Blick zu nehmen: „Wie stehen wir den Menschen bei, über denen so viel zusammengebrochen ist, dass sie überhaupt nicht mehr wissen, was sie zuerst tun sollen und tun können? Wie kommt ihre Lebenswirklichkeit in unseren Gottesdiensten und Gemeinden vor? Die frühen christlichen Gemeinden haben gerade durch ihre Integrationskraft für Menschen überzeugt, die am Rande der Gesellschaft standen.“ Auch die fortschreitende Ökonomisierung im Denken und Handeln vieler Menschen müsse hinterfragt werden. In der Bibel stoße man auf eine Ökonomie des „Genug für alle“ und eine „Ökonomie aus Gnade“. „Sie hat im gegenwärtigen System des Ökonomismus kaum Platz“, sagte Klassohn. Die Stärke einer Gesellschaft erweise sich darin, welche Stellung die Schwachen in ihr hätten. Wert und Würde des Menschen dürften nicht an seiner ökonomischen Nützlichkeit bemessen werden. Zur Zukunft der Landeskirche sagte der Kirchenpräsident: „Das Entscheidende dafür und zur Zukunft der evangelischen Kirchen überhaupt wird nach meiner Überzeugung in unseren Gemeinden geschehen.“ Überlegungen zu Strukturen, Föderation und Fusion von Landeskirchen müssten daran gemessen werden, „ob und wie sie Zeugnis und Dienst in den Gemeinden fördern“. Die anhaltische Landeskirche sei im wesentlichen eine „Landkirche“, „deswegen können wir nicht daran denken, uns aus dem ländlichen Raum mit unseren Aktivitäten zurückzuziehen“. Vielmehr müsse man weiter dem Konzept einer offenen, einladenden, bekennenden Gemeindekirche folgen. „Wir haben die kirchliche Arbeit so zu gestalten, dass die Präsenz des Evangeliums an den Lebensorten der Menschen gewährleistet ist.“ Erfreut zeigte sich der Kirchenpräsident über die sinkende Zahl der Kirchenaustritte in der anhaltischen Landeskirche von 273 im Jahr 2003 auf 174 im Jahr 2004. Das sind prozentual die niedrigsten Austrittszahlen in allen Landeskirchen der EKD. „Zugleich können wir eine größer werdende Taufbereitschaft und eine wachsende Zahl von Taufen dankbar feststellen. Dies gilt es weiter zu verstärken und den Menschen Freude und Mut zur Taufe zu machen“, sagte Klassohn. Die Zahl der Taufen stieg 2004 auf 380 gegenüber 345 im Jahr 2003. Mit Dankbarkeit und Sorge zugleich, so der Kirchenpräsident, verfolge er die Auswirkungen der Spar-, Personal- und Strukturbeschlüsse der Landessynode vom April 2004. Die Synodalen hatten damals Einsparungen von 900.000 Euro bis Ende 2006 und zugleich ein Konzept der Regionalisierung beschlossen, das eine bessere Verteilung der Aufgaben zwischen Kirchengemeinden gewährleisten soll. Die emotionale Situation der Pfarrer- und Mitarbeiterschaft in der Landeskirche sei nicht einfach, so Klassohn. Mit 18 von insgesamt 55 Pfarrerinnen und Pfarrer im Gemeindedienst der Landeskirche müssten ab 2006 eingeschränkte Dienstverhältnisse vereinbart werden, die gleichwohl auch in anderen Landeskirchen durchaus üblich seien. Klassohn forderte alle Mitarbeitenden dazu auf, sich in Gemeinden und Regionen konstruktiv mit dieser Situation auseinander zu setzen, die eigene Arbeit aktiv zu gestalten und die Chancen der neuen Regionalstruktur zu nutzen. Er erinnerte angesichts begrenzter finanzieller Mittel an die Mitverantwortung aller Gemeindeglieder. Das Amt der Kirchenältesten sei auch ein geistliches Leitungsamt. In Kirchen, in denen aufgrund der Personalknappheit kein Sonntagsgottesdienst stattfinden könne, sollten von Ältesten gehaltene Kurzgottesdienste angeboten werden. In seinem Bericht erinnerte der Kirchenpräsident auch an den 90. Jahrestag des Genozids an der armenischen Bevölkerung im damaligen türkisch-osmanischen Reich. Damit sei eine Jahrtausende alte christliche Kultur in Anatolien systematisch vernichtet worden. „Damit es zu einer wirklichen Gemeinschaft zwischen den Völkern kommt, muss Schuld angenommen und Wahrheit deutlich ausgesprochen werden“, sagte Klassohn. „Deshalb haben wir kein Verständnis für die Haltung der türkischen Regierung, die nach wie vor den Genozid am armenischen Volk leugnet, die Erinnerung daran mit Strafe bedroht und auch Christen und christliche Gemeinden benachteiligt, während trotz allen öffentlich erklärten Laizismus des modernen türkischen Staates der Islam unterstützt und akzeptiert wird. Wir erklären hier ausdrücklich unsere Solidarität mit unseren christlichen Schwestern und Brüdern der Armenischen Apostolischen Kirche.“ Zum Bekenntnisstand der anhaltischen Kirche sagte Kirchenpräsident Klassohn: „Anders als die evangelischen Landeskirchen lutherischer Konfession sind Landeskirchen reformierter und konsensunierter Konfession, zu denen auch wir zählen, in Fragen des Bekenntnisses nicht allein an den Wortlaut der reformatorischen Bekenntnisse gebunden, sondern haben die Aufgabe, zu eigenem aktuellem Bekennen vorzudringen, dabei die reformatorischen Bekenntnisse in ‚gebührender Achtung‘ zu halten.“