Konflikte der Gerechtigkeit
Dessau-Roßlau, am – Vor rund 220 Zuhörern hat Sachsen-Anhalts früherer Ministerpräsident Prof. Dr. Wolfgang Böhmer am 16. Oktober in der Dessauer Johanniskirche eine Theaterpredigt zu Shakespeares Tragödie „Hamlet“ gehalten. Er nahm damit Bezug auf die aktuelle Inszenierung des berühmten Werkes am Anhaltischen Theater Dessau in der Regie von Niklas Ritter. Als Titel der neunten Dessauer Theaterpredigt hatte Böhmer das Bibelwort „Gerechtigkeit erhöht ein Volk; aber die Sünde ist der Leute Verderben“ gewählt.
„Für Gerechtigkeit zu sorgen, das muss stets das Bestreben von Menschen sein, die sich in öffentliche Verantwortung begeben. Doch dieses Anliegen ist immer mit Konflikten verbunden, die man aushalten muss – und an denen manche auch zugrunde gehen. Genau darum geht es in Shakespeares Hamlet, dessen Titelfigur den Mord an seinem Vater rächen will, um Gerechtigkeit zu schaffen.“
In Shakespeares Drama lässt der Protagonist Hamlet im Widerstreit mit seinem Gewissen – statt sich sogleich am Mörder seines Vaters zu rächen – ein Theaterstück im Theater aufführen. Diese Unentschlossenheit endet schließlich mit acht zusätzlichen Toten.
„Bei den Entscheidungen, die gerade Menschen in Verantwortung treffen müssen, merken wir oft erst später, ob diese richtig gewesen sind oder nicht“, betonte Böhmer. „Zur Zeit der Wende etwa haben wir in entschlossener Nachdenklichkeit gehandelt, ja mussten dieses tun, obwohl es vielleicht besser gewesen wäre, über manches länger nachzudenken. Immer stehen wir vor der Frage: Ist unser Handeln gerechtfertigt?“
Dennoch sei Entschiedenheit wichtig im politischen Handeln. Mit Blick auf die Rachegelüste Hamlets bemerkte Böhmer, man könne nicht altes mit neuem Unrecht vergelten. „Zur Geschichte der Zivilisation gehört die Suche nach Gerechtigkeit. Das ist der Preis dafür, wenn man Verantwortung übernimmt.“ Zugleich müssten Recht und Gerechtigkeit deutlich voneinander abgegrenzt werden. Gerechtigkeit sei immer eine subjektive Einschätzung. Vor der Versuchung, sie zur Allgemeingültigkeit zu überhöhen, warnte Böhmer ausdrücklich.
Die Dessauer Theaterpredigten, verantwortet vom Anhaltischen Theater Dessau, der Evangelischen Landeskirche Anhalts und der Kirchengemeinde St. Johannis und St. Marien, dienen dem lebendigen Dialog zwischen Kunst und Religion und stehen so in der aufgeklärten und kulturfreundlichen Tradition Anhalts.
Prediger bei den bisherigen Dessauer Theaterpredigten waren unter anderem Dr. Petra Bahr, die Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland, der Wittenberger Theologe Friedrich Schorlemmer, der anhaltische Kirchenpräsident Joachim Liebig, aber auch die Pianistin Ragna Schirmer. Die nächste Theaterpredigt hält am 15. Mai 2012 zu Richard Wagners „Götterdämmerung“ der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Prof. Dr. Wolfgang Huber.
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